Team Bittel
 

Ulmer Laufnacht über 100km  

Autor:  KaiSchlachter   E-Mail: murphy§murphyslantech.de
Letzte Änderung: 07.07.2011 02:26:43

Es war sehr kalt, aber Ziel erreicht. Mit Begleitradfahrer ist es definitiv einfacher.
Nachdem ich 2010 Diplomarbeit in den USA geschrieben hatte (gelaufen bin ich dennoch - siehe Bericht Marathon in Frederick) war es mir ja nicht möglich an der 2. Ulmer Laufnacht 2010 teilzunehmen. Meine Kollegin Helga hatte sich erbarmt und eine Besichtigung meiner "Baustelle" gemacht, denn 100% zufrieden war ich mit meinem Ergebnis der 1. Veranstaltung 2009 nicht.

Dafür war dann umso klarer: 2011 bist du wieder in Ulm am Start. Und natürlich über die volle Distanz und mit einigen gezogenen Lehren aus dem ersten 100km-Lauf: Ich habe ich mir diesmal einen Begleitradler organisiert. Mein Arbeitspartner Torsten hatte sich spontan bereit erklärt 100km neben mir mit dem Fahrrad herzufahren. An einigen Wochenenden hatten wir schon trainiert, Flasche reichen, wie klappt es mit der Geschwindigkeit etc.

2009 hatte ich die Gewissheit einen Marathon erfolgreich hinter mich gebracht zu haben, bevor es über die lange Strecke ging. Diesmal hatte ich einen Marathon abbrechen müssen… Ein wenig mulmig war mir denn auch. So ein wenig Sicherheit und Selbstvertrauen ist durch nichts zu ersetzen. Zudem hatte ich die Wochen vor dem Lauf einiges zu tun und so gab es wieder eine Tapering-Woche vor dem Lauf mit stark reduziertem Kilometer-Umfang. Ob Tapering für mich eine gute Technik ist, kann ich immer noch nicht sagen. Da muss ich noch einige Vergleiche machen. Auch war ich ein wenig erkältungsgeschwächt während der Woche, aber 2 Tage vor dem Lauf sah es gut aus, die Symptome abgeschlossen und nur noch eine etwas laufende Nase bei längerer Belastung. Wäre dem nicht so gewesen hätte ich auf das praktische Angebot des Veranstalters zurückkommen müssen, den Lauf kostenfrei um ein Jahr zu verschieben. Finde ich eine echt super Sache, denn wer kann schon garantieren, dass er an dem Tag nicht krank ist oder sich beim intensiven Vorbereitungstraining irgendeine Verletzung holt.

Die Fahrt nach Blaustein war wie üblich ohne besondere Vorkommnisse. Wenn man weiß wo man hin muss, dann wird vieles leichter. Allerdings machte mir das Wetter zunehmend Sorge - immer wieder ergiebige Regenfälle. Wenn es während des Laufs leicht regnet dann habe ich damit kein Problem. Aber wenn man bereits auf den ersten Kilometern durchgeweicht ist, oder gar schon vor dem Start, dann macht mir das Laufen keinen Spaß mehr.

Startunterlagen, Transponder und die Spätzle-Party, alles wunderbar organisiert und nur in einigen Details gegenüber 2009 verändert - wie auch Details an der Streckenführung. Aber dazu später mehr. Die Farbe des Begleitradler-Shirts hat meinen Partner geschockt: Lila/Flieder. Keine Ahnung wer auf die Idee gekommen ist. Nach Orange 2010 ist man bei den Farben für die Teilnehmer-Shirts wieder zu dunklem Schwarz mit hellem Aufdruck zurückgekehrt. Gefällt mir für die Nachtveranstaltung deutlich besser. Auch gibt es keine 2 Funktionsshirts mehr (Teilnehmer und Finisher) sondern nur noch 1 Baumwoll-Shirt auf das nach erfolgtem Lauf die Distanz und "Finisher" aufgedruckt wird. Auch nicht das schlechteste, Funktionsshirts gibt es gegen Aufpreis.

Die Einweisung wie immer: Rote Bändchen rechts, gelbe Bändchen links, gelbe oder orange reflektierende Pfeile, teilweise mit Beleuchtung und zur absoluten Narrensicherheit noch Markierungen auf dem Boden mit gelber Neon-Farbe. Bei dieser Redundanz kann man sich wirklich nicht verlaufen. Zudem liegen wieder an Gefahrenstelle rote Blinklichter oder auch Knicklichter. Respekt vor dem Organisationsteam, das die ganze Festtagsbeleuchtung vor dem Lauf rechtzeitig einschaltet und hinterher wieder abräumt. Auch auf die Pflicht zur Kopfleuchte für die Nacht wird nochmals hingewiesen. Insgesamt alles was man für den Lauf nunmal unabdingbar wissen muss.

Ich habe versucht ein wenig zu schlafen, schließlich war ich den Tag über ja auch schon wach. Allerdings macht mir das geänderte Rahmenprogramm einen Strich durch die Rechnung. Allenfalls ein wenig dösen ist drin. Besser als nichts. Genau zum Ballonglühen stehe ich auf und mache mich fertig. Es wurde im Vergleich zu 2009 vorverlegt, damit mehr Leute etwas davon haben. Torsten hatte so wenigstens einen Teil der Startvorbereitungen mitbekommen: Die Begleitradler starten 15 Minuten vor den Läufern, damit es nachts auf den dunklen und engen Waldwegen nicht zu Unfällen kommt.

Am Start treffe ich nochmal Helga. Sie hat einen technischen Ausfall zu beklagen, ihr Pulsmesser spielt verrückt. Er lässt sich kurz vor dem Start nicht zur Mitarbeit bewegen. Da hilft dann nur das Gefühl. Mit einigen Minuten Verzögerung geht es um 23:00h los, wie üblich ein schönes Feuerwerk zum Start. Eines ist im Vergleich zu 2009 definitiv anders: Mir ist kalt! Ich laufe daher im Zwiebel-Look aus langem Lauftrikot, Windjacke und einer Fleece-Weste, die ich sonst bei winterlichen Trainingseinheiten verwende.
Ein Läufer macht mich komisch an, was ich im Winter wohl anziehen würde? Ich nehme das gelassen - was ich anhabe kann ich ja ausziehen und was ich nicht dabei habe kann mich im Zweifel nicht wärmen.

Nach dem Start geht es Richtung Eggingen. Ich unterhalte mich eine ganze Weile mit einem Läufer. Wir mahnen uns immer wieder langsam zu machen, denn die Nacht ist noch lange und die Strecke auch. Immerhin ist man ja bald im zweistelligen Kilometerbereich. Nach dem gemütlichen Teil zum Warmwerden im Tal und einigen kleineren Steigungen geht es die erste langgezogene Steigung nach oben. Ich halte meine Pulsuhr fest im Blick: Nur nichts überstürzen. Dennoch saust der Puls gegen Ende der Steigung in ungeahnte Höhen um die 170 Schläge/Minute. So hoch, das wollte ich vermeiden. Aber nachdem die Steigung überwunden ist geht der Puls wieder etwas abwärts. Wir laufen nun nicht mehr entlang der Straße sondern auf einem geschotterten Weg durch den Wald. Volle Konzentration, sonst hat man sich schneller den Fuß vertreten als man schauen kann. Aber ansonsten alles wunderbar zu laufen. Im Wald ist es angenehm windgeschützt und ich ziehe das Fleece aus und binde es mir um die Hüfte.

In sanften Wellen erreichen wir Eggingen. Erst eine Runde Iso-Getränk, dann treffe ich auf meinen Begleitradler. Ich bleibe nicht stehen sondern jogge langsam weiter. Zwischenzeitlich hat man einen ganz guten Blick auf die nächtlichen Dörfer und einen Ausläufer Ulms. Die Strecke windet sich durch Felder, teilweise ist der Feldweg bewachsen und nur die Trekker-Spuren rechts und links sind grob geschottert: Wenn es bergab geht ist das äußerst unangenehm. Ansonsten ist es angenehm zu laufen und ein herrlicher Anblick, wenn sich die beleuchtete Läuferschlange vor einem durch die Landschaft windet.

Noch immer geht es durch die Nacht, teilweise stehen Gruppen an der Strecke und applaudieren. Ansonsten zieht sich das Feld langsam aber sicher immer weiter auseinander. Ich lasse mich von nichts beirren und richte mich ganz nach meiner Pulsuhr: Um die 150 Schläge habe ich mich eingependelt. Ich habe das Gefühl die Nacht diesmal mehr genießen zu können. Ich nehme Details wahr, die ich so nicht mehr im Kopf hatte. Anderes kommt mir wiederum vertraut vor. Zwischenzeitlich gibt es wieder Motivation in Form eines Schildes: 15km sind geschafft. Nach weiteren 5en laufen wir auf dem Sportplatz in Erbach ein. Eine größere Verpflegungsstelle mit Staffelübergabe, Kuchen, Bananen und Äpfel, alles was den Läufermagen freut. Ebenso gibt es wieder mal Iso-Getränk. Bisher vertrage ich das gut, also schütte ich weiter kräftig von dem Schmiermittel für die Muskeln in mich rein.

Nun kommt wieder eine altbekannte Strecke, entlang der Donau. Besser gesagt dem Donau-Damm entlang. Auf der leicht gekrümmten Strecke sieht man wieder die Läufer und Begleitradler in der Ferne - ein schöner Anblick. Zudem ist die Strecke zur Abwechslung mal angenehm flach. Zumindest bis es nach dem Wasserkraftwerk wieder moderat bergan geht.
Nach einigen kleineren Hügeln geht es lange Zeit bergab. Zwischenzeitlich steht ein weiteres Motivationsschild, wieder 5 km geschafft. Kurze Zeit später ist es mit der Erholungsstrecke vorbei. Rund um Unterweiler folgt eine starke Steigung auf die nächste. Aber ich fühle mich noch immer gut und muss keine Gehpause machen. Nach den steilen Anstiegen geht es wieder langsam bergab. Das freut die Gelenke und die Muskulatur in den Oberschenkeln.

Nächstes Ziel ist Illerkirchberg. Der Name ist in diesem Fall ebenfalls Programm. Es geht ordentlich aufwärts bis nach einer Spitzkehre das Plateau erreicht ist. Kurz vor der Verpflegungsstelle steht ein weiteres Kilometer-Schild: 35km habe ich mittlerweile geschafft. Kurz vor der Verpflegung hat sich Helgas Mann postiert und macht ein Foto.

Nun geht es langgezogen den Bergrücken runter. Der Ausblick ist herrlich, auch wenn es verdammt frisch ist. Torsten liest auf seinem Fahrrad-GPS-Tacho 1,2°C ab. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass mir die Getränke so übermäßig kalt vorkamen. Ich ziehe das Fleece wieder drüber um nicht auszukühlen. Mit einigen Kehren schlängelt sich die Laufstrecke ins Illertal hinunter. Die Strecke entlang der Iller habe ich in guter Erinnerung, angenehm zu Laufen und mit schönem Ausblick auf die Iller, die munter neben uns her im Dunkeln plätschert. Unterbrochen wird die Idylle nur durch einen kurzen Abstecher ans Kloster Wiblingen. Dort findet sich die nächste Versorgung. Kurz essen und Fotos vor der schönen Kulisse machen. Dann geht es Richtung Ulm. Vorher runter an die Iller und weiter an derem idyllischen Lauf. Ich treffe auf einen Läufer, der ein ähnliches Tempo wie ich läuft. Wir unterhalten uns, während wir uns langsam Ulm und der 50km Station nähern. So verfliegen die Kilometer die ich von 2009 als relativ zäh in Erinnerung hatte.

In Ulm gibt es eine Änderung gegenüber 2009: Die Versorgung findet nicht mehr in der Bastion statt, sondern im Donaustadion. Das liegt 3 km weiter. Ein Effekt, den ich nicht eingerechnet hatte und der mich Nerven kostet. Diese Kilometer wirken wieder wie aus Gummi. Immerhin muss man diesmal nicht über die Brücke an der Bundesstraße. Eine Steigung weniger. Das ist auch was wert. Im Stadion mache ich Pause, versuche mehr zu essen, auch wieder Kuchen. Aber schmecken will er nicht. Ich versuche die Pause kurz zu halten, denn 2009 hatte ich mit dem Wiederanlaufen erhebliche Probleme. Nach 12 Minuten versuche ich es, und es geht mir wie 2009: Mein Körper war schon voll auf Entspannung eingestellt und die Muskulatur wehrt sich. Wie auch 2009 denke ich kurzfristig an Aufhören, überwinde mich aber und nach rund 1,5km ist die Sache wieder im Lot. Merke für weitere Aktionen dieser Art: Pause bei 50km noch kürzer machen.

Kurz vor Ulm haben wir die Illermündung in die Donau passiert. Daher joggen wir jetzt entlang der Donau stromabwärts. Es ist halb fünf. Die ersten Vögel fangen an zu singen. Der Effekt, dass man streckenweise total alleine ohne Kontakt zu Vordermann oder Hintermann läuft, stellt sich wieder ein. Bis Thalfingen sind wir auf der bayrischen Seite der Donau. Und scheinbar ist man dort auf Läufer und Radler noch nicht eingestellt. Der Untergrund ist sehr grob geschottert. Das hat sich nicht geändert. Das macht die Lauferei nicht einfacher, denn man muss sich voll konzentrieren wo man hintritt. Immerhin ist es wärmer und ich übergebe meine Fleece-Jacke an meinen Radler. Kurz vor der Brücke in Thalfingen steht ein weitres Schild: 55km sind erreicht. Kurz danach geht es über die Donau. An der Wasserstelle wird kurz getankt und die Kopflampe weggepackt. Dann geht es auf die lange Gerade parallel zum Damm. Da sich die Kilometrierung verschoben hat, steht diesmal nicht irgendwo entlang der Geraden ein Motivationsschild. Das entfällt. Dennoch habe ich ein Zwischenziel: Das Ende der Geraden. Dann kommt ein Läufer ins Blickfeld der langsamer unterwegs ist. Am Ende der Geraden habe ich beides erreicht, den Läufer und mein Zwischenziel.

Nun geht es auf Oberelchingen zu, mit einem wunderschönen Blick auf die aufgehende Sonne, die glutrot über den Feldern steht. Direkt nach dem Bahnübergang steht das sehnlichst erwartete Schild: 60km liegen hinter mir. Ein Bild aus einem Bittelschen Laufbericht kommt mir in den Sinn: "nur noch ein Marathönchen". Wie wahr. Weniger als 40km liegen noch vor mir. Aber ich weiß aus der Erfahrung, dass diese es so richtig in sich haben. Den Anfang im Steigungsreigen macht die heftigste Steigung im ganzen Lauf aus. Nicht umsonst hat sie den Spitznamen "Napoleonrampe". Erst geht es die Straße steil nach oben und zum Abschluss in Serpentinen durch einen Spielplatz. Ein Läufer flucht auf die Steigung. Ich motiviere ihn. Bei meinem Marathon in Frederick (USA) musste ich wegen der Hitze und der Steigungen auch viel gehen. Dort hat mich die Erinnerung an diese Steigung der Ulmer Laufnacht motiviert. Ich wusste wie man solche Fälle angehen muss. Außerdem ist nach dem steilen Anstieg auch Erleichterung in Sicht. Im Kloster befindet sich eine Verpflegungsstelle. Wie üblich geht es aber vorher durch den Friedhof (ein Schelm wer Böses dabei denkt). Mein Begleitradler meint ich solle hier meine Trauung vornehmen lassen, wenn es soweit ist. Ich entgegne: „Wenn schon, dann aber am Tag der Laufnacht. Und als Walk-Through-Wedding, denn Drive-Through haben die Amis ja schon".

Nach dem kurzen Stopp geht es weiter bergan, wenn auch nicht mehr so steil, immer entlang des Panoramwegs. Leider ist es diesig und die Sicht nicht berauschend. Aber es ist immerhin mittlerweile angenehm hell. Wir nähern uns zum zweiten Mal Thalfingen, diesmal am Nordende. Das Gefälle in den Ort mit Serpentinen hat es in sich. Aber auch das geht irgendwann vorüber. Vor allem mit der Gewissheit: "Das musst du auch wieder hoch". In Thalfingen gibt es nur eine reine Wasserstation der Feuerwehr. Gut dass mein Begleiter Studentenfutter vom letzten Stopp eingepackt hat. Die nächste Steigung gehe ich und verspeise die gesalzenen Nüsse. Wie leicht man einem Läufer eine Freude machen kann. Spontan muss ich an eine sinnvolle Erfindung aus den USA denken: "Trailmix" heißt das Zeug und ist "gepimptes" Studentenfutter, also leicht gesalzen und mit Schokolade (meist M&Ms). Davon könnte ich in diesem Moment gefühlt einen ganzen Eimer verdrücken (in den Staaten wird es in Dosen zu 1kg verkauft). Die Steigungen scheinen kein Ende zu nehmen. Immerhin ist es noch kühl, ich laufe mit Windjacke. In den Feldern wird mir bewusst wie wichtig die Jacke ist: Wir haben kräftigen Westwind, der uns die gesamte Zeit bis 7km vorm Ziel begleiten wird.

Die Strecke führt hügelig durch eine abwechslungsreiche Landschaft. Immer wieder Waldstücke, dann wieder Felder. Am Ende eines Waldstückes steht eines der herbeigesehnten Schilder: 65km! Es ist noch immer mild. Im Gegensatz zu meinen Erinnerungen ist die Sonne diesmal herzlich willkommen! Sie wärmt und mildert das kalte Gefühl, das der Wind in der überlasteten Funktionskleidung aufkommen lässt. Nach einer Kehre taucht wieder ein Schild zur Motivation auf: 70km sind vollbracht. Nur noch 30km bis zum Ziel. So lang kamen mir die letzten 5km gar nicht vor, auch wenn sie nicht länger oder kürzer als die anderen waren.

Nun folgt ein Stück, das sich von 2009 deutlich unterscheidet. Anstelle einer weiteren Senke und entlang der Bahnlinie zu laufen, geht es diesmal auf den nördlichsten Teil der Strecke, über die Autobahn A8 und parallel dazu weiter gegen Westen. Wie gesagt, keine Senke, dafür diesmal ein leichter Hügel. Dennoch gehe ich die langgezogene Steigung hoch. Ich bin ausgepowert. In der Ferne ist das Zentrallager der Firma Müller
(Drogerie-Markt) zu sehen. Auch das charakteristische Firmengebäude "Müller-Turm“ ist weithin sichtbar. Es geht wieder zur Autobahn, diesmal nicht über eine Brücke, sondern unten durch. Danach eine Steigung. Ich verfalle wieder ins Gehen und unterhalte mich mit einem Läufer. Gemeinsam motivieren wir uns. Nach der Steigung geht es flach weiter und wieder in Richtung der mir bekannten Strecke. Die Brücke über die Eisenbahn kommt näher. Vorher eine kleine Senke. Die Brücke gehen wir wieder hoch. Ich wähne schon die nächste Verpflegung hinter der Kuppe. Aber meine Erinnerung trügt mich. Es geht noch einen Kilometer durch die Bebauung bis die 75km-Station erreicht ist: Brühe, Salz, Magnesium, Hartwurst und jede Menge Iso-Getränk. Nach ein wenig Verschnaufen geht es weiter. Nächstes Ziel: Wilhelmsburg bei km80.

Die Strecke schwingt sich in sanften Hügeln gen Ulm. So lange es flach ist, oder leicht bergab geht jogge ich. Ansonsten schalte ich die Untersetzung zu, sprich ich gehe die Steigungen hoch. Es geht am nächsten Lager von Müller vorbei. Immer wieder ein wenig bergauf, ein wenig bergab. Ich passiere mit meinem Radbegleiter das Ortschild von Ulm (mal wieder. Die Schilder entlang der Strecke sprechen eine deutliche Sprache: "Bundeswehr-Krankenhaus". Sehen wir schon so übel zugerichtet aus? Ich will es gar nicht wissen, auch wenn Torsten wieder fleißig Bilder macht. Wir überholen zwei Läuferinnen. Eine hat scheinbar ihre Staffel schon beendet und ist ihrer Kollegin entgegen gelaufen. In der Gruppe sind wir umso motivierter. Auch die erste Ecke der Wilhelmsburg zeigt sich, was zusätzlich für Motivation sorgt. Bei der 1. Laufnacht hatte ich in der Hochschule noch verkündet: „Wenn ich die 80 geschafft habe, sind die letzten 20 Ehrensache". Diese Worte fallen mir wieder ein. Und wieder ist klar:
Aufgeben? Jetzt nicht mehr. Außer wenn irgendwas Gravierendes passieren sollte.

Diesmal ist die Verpflegung im Burggraben aufgebaut, nicht wie 2009 im Innenhof. Wieder eine Portion Magnesium, Kuchen, Isogetränk und Wasser. Ebenfalls vor der Burg hat sich Helgas Mann postiert, nicht mehr so dick eingepackt wie in der Nacht. Auch hier gibt es wieder Fotos. Danach geht es nicht mehr wie 2009 den Wehrgang hinunter, sondern gleich quer dazu auf Höhe des Burggrabens. Es folgt eine Strecke die liebevoll mit "Achterbahn" betitelt ist. Eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht abzustreiten. Es geht kleine knackige Steigungen hoch und runter. Selten flach. Mittlerweile machen sich die Oberseiten der Oberschenkel bemerkbar, vor allem wenn es steiler bergab geht. Einfach laufen lassen geht nicht mehr. Wir laufen immer in Sichtweite der B10 und in der Ferne ist die andere Seite des "Müller-Turms" zu erkennen. Langsam nähern wir uns dem Örtchen Lehr - in der richtigen Schreibweise. Innerlich fühle ich mich auch leer. Der Effekt kommt durch die starken Anstiege vor der Ortschaft. Umso besser, dass an der Feuerwehr wieder Energie und Wasser getankt werden kann. Kurz danach passieren wir km85.

Nach einer Kuppe stehen wir vor einem weiteren Highlight der Strecke:
Die "Mördersenke". Sie liegt vor dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr. Diesmal ist die Strecke anders als 2009: Nach der Senke muss man sich nicht entlang des Kasernen-Geländes den Hügel hoch und durch die Sonne quälen. Sie scheint sowieso nicht so intensiv wie damals, ein wenig mehr wäre aber wünschenswert. Stattdessen geht es durch ein wenig Wald auf dem Übungsplatz und am anderen Ende trifft sich die Route dann wieder. Von der Strecke her dürfte es kein Unterschied sein. Auch die unbetreute Wasserstelle ist wieder aufgebaut. An einem Hügel treffen wir auf ein weiteres Team aus Läufer und Begleiter. Wir unterhalten uns nett, auch wenn uns beiden jede Muskelfaser in den Beinen wehtut. Aufgeben wollen wir nicht. Soweit es geht joggen wir. Einen Kilometer vor der 90km-Sation muss ich langsamer machen - es geht einfach nicht mehr. An der Station sind wir wieder gleichauf. Vor uns läuft schon geraume Zeit ein außergewöhnlicher Teilnehmer her: Ein Mitglied der Bundeswehr in Uniform, Stiefeln und Rucksack. Der ist noch fit und legt ein ordentliches Tempo vor. An der 90km-Station ist er aber total entkräftet und pausiert noch, als ich mich wieder auf den Weg mache. Noch 10km, das muss zu schaffen sein.

Die Strecke führt übers freie Feld, der vorletzte Ort ist Bollingen oberhalb des Kiesentals. Bis an die Sportanlage Bolligen sind es 4km, dort steht die letzte Versorgungsmannschaft vor dem Ziel. Ich fasse nochmal Energie in Form von Kuchen und Iso und dann geht es an die letzte Etappe über 6km. Die Schilder stehen seit Kilometer 90 jetzt jeden Kilometer. Geistig motiviere ich mich damit, dass ich mir vorstelle wo auf meiner Heimat-Laufstrecke ich jetzt ungefähr wäre (die ist 10km lang). Nach angenehm weichem Feldweg mit Gras und Moos geht es an den Abstieg ins Kiesental. Letztes Mal musste ich da gehen, diesmal kann ich vorsichtig joggen. Ich fühle mich nicht schlecht dabei. Bei Kilometer 96 geht es einen steileren Anstieg im Kiesental hoch. Der letzte große Anstieg. Am Gipfel steht eine zusätzliche Wasserstelle bereit. Aber ich brauch nichts, zu verlockend ist das nahe Ziel. Die lange Strecke abwärts geht gut zu joggen.
An der Bundesstraße geht es über einen Hügel, dann vorbei an der Forellenzucht und dem Kilometer 97. Ich kann das Ziel schon riechen. Auch die leichte Steigung jogge ich jetzt hoch, wissend, dass es die letzte ist.

Mit Kilometer 98 erreichen wir Blaustein. Torsten fährt voraus und postiert sich für ein Bild bei Kilometer 99. Es geht an die Blau, über eine kleine Brücke und dann nur noch flach entlang der Blau. Torsten schwingt sich wieder in den Sattel und gibt Gas, damit er ein Foto vom Zieleinlauf machen kann. Ich nehme mich zusammen. Hinter dem Stadion vorbei, an der Lix-Sporthalle entlang, an meinem Auto und Zelt am Parkplatz rechts ab Richtung Stadion. Leichter Anstieg bis an die Tartanbahn und nur noch 700m. Ich gebe Gas und versuche zu lächeln. Letzte Kurve und dann die Zielgerade und durchs Ziel.

Da gerade die Siegerehrung stattfindet, stehen genügend Leute an der Strecke und applaudieren. Nicht nur für die Geehrten, für jeden Ankömmling wird Beifall gespendet. Auf der Zielanzeige stehen 11:52 h. Langsamer als 2009 aber immerhin unter 12h. Ziel erreicht.

Nach dem Lauf gönne ich mir jede Menge Getränke, Brötchen und was sich so bietet. Ich ziehe meine dampfenden Laufschuhe und Socken aus und inspiziere mein Laufwerk: Eine Blase am Zeh und 2 je rechts und links an der Unterseite. Ansonsten alles OK. Nur Gehen fällt mir schwer und mir wird kalt. Ich ziehe meine Jacke und das Fleece an. Bevor ich ein warmes Mittagessen zu mir nehme (zum Frühstück bin ich leider zu spät - da muss ich mich nächstes Mal mehr anstrengen und noch intensiver vorbereiten) hole ich noch die Aufdrucke für die T-Shirts ab "Finisher 100km". Auf meinem Shirt aus 2009 gibt es leider keinen Aufdruck der Kilometerzahl. Den werde ich mir organisieren.

Nun lasse ich den Tag ausklingen im Bad Blau. Der Eintritt ist mit der Startnummer kostenlos. Eigentlich dachte ich, ich hätte die alten Fehler nicht mehr gemacht. Dennoch bin ich total verausgabt und mir ist kalt. Die Aufwärm-Sauna mit ihren 60°C ist leider außer Betrieb. So muss ich mit Whirlpool und warmer Steinbank vorliebnehmen. Ich bin so platt, dass ich erst mal 2h schlafe. Danach etwas essen, denn mir ist immer noch kalt. Ein fettig triefendes Schnitzel mit einem Berg Pommes soll Abhilfe schaffen.
Mittlerweile ist der Körper eine einzige Regenerationsbaustelle. Alle Muskeln schmerzen, es ist äußerst mühsam auch nur zu gehen. Aber es gibt noch andere 100km Läufer im Bad. Und keinem geht es anders. Danach nochmal 2h entspannen und schlafen im Ruhebereich. Auf dem Weg zur Umkleide fragen mich Passanten, ob es mir gut ginge und was passiert sei. Als ich sage, dass ich 100km gelaufen bin fällt ihnen die Klappe runter. "Kann man sowas überhaupt laufen?"

Diesmal fahre ich auch nicht direkt am Samstag wieder heim. Eine Lehre von 2009: Total verausgabt fährt es sich schlecht. Stattdessen gibt es ein Abendessen und dann haue ich mich aufs Ohr. Die Nacht ist äußerst gemischt: Einerseits schwitze ich wie verrückt und mir ist mollig warm. Andererseits proben die Muskeln den Aufstand, fühlt sich an wie Schüttelfrost und ich wache bei jedem Versuch mich im Schlafsack zu drehen vor Schmerzen auf. Am Sonntag geht es deutlich besser. Gut wäre übertrieben. Für die Heimfahrt reicht es aus. Montag und Dienstag sind noch mit starkem Muskelkater in den Oberseiten der Oberschenkel. Treppen aufwärts geht schon wieder gut, aber abwärts ist die Hölle. Mittwoch ist der erste Tag an dem Treppenlaufen wieder OK ist.

Fazit: Die Laufnacht ist anstrengend, hat aber ihren Reitz. Mit den Detailverbesserungen an der Streckenführung und den zusätzlichen Versorgungspunkten wurde die gut gemachte Veranstaltung weiter verbessert. Wenn der Muskelkater weg ist, kann man die Erinnerungen so richtig genießen. Noch weiß ich nicht, ob ich 2012 wieder mit dabei sein werde. Aber eine Überlegung ist es wert. Was ich nicht mehr missen möchte ist ein Radfahrer als Begleitung. Es läuft sich ungleich angenehmer, wenn man die Jacke loswerden kann und mit Getränken und Energie versorgt wird, wann man sie braucht. Auch der Motivationsfaktor spielt eine Rolle: Man gibt nicht so leicht auf. Was die Erfahrungen nach der 50km-Pause und im Ziel betrifft, so muss ich weiter an mir arbeiten. Ich werde mir definitiv einige richtig lange Laufstrecken jenseits der Marathondistanz auf den Plan setzen, um noch besser zu werden.

Mit dem Ergebnis bin ich von der Zeit her nicht zufrieden, wohl aber mit der Platzierung die sich ergibt. Zwar rutsche ich aus mir unerklärlichen Gründen im Laufe von Montag und Dienstag noch 2 Plätze in der Gesamtwertung nach hinten: Platz 61. von 148 Finishern. Aber der 1. Platz in der Altersklasse (MHK) bleibt. Das hätte ich nicht erwartet. Aber nichts ist unmöglich, weder 100km zu laufen noch der 1. Platz in der Altersklasse.

C.U. Kai
Weiterführender Link zum Thema: Kais Bericht 1. Ulmer Laufnacht 2009
 
[team/fuss.htm]